Monday, 28. May 2007Freies Tibet, Freie Pornos und Freie Rede
Spiegel Online widmet sich dem Problem der Zensur im Internet. Das finde ich gut.
Besonders schön finde ich, dass dieses Mal nicht der Wunsch hiesiger Regierungen aufgegriffen wird, Seiten zu sperren, die hiesigen Gesetzen widersprechen. Es ist nämlich schon schwierig, Argumente zu finden, warum Kinderpornos nicht zensiert werden sollten. Bei Seiten mit Hakenkreuzen kann man bestenfalls auf die regional sehr unterschiedliche Befindlichkeit bei der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Volksverhetzung hinweisen. Und bei Bombenbauanleitung lediglich auf die Nutzlosigkeit der Zensur angesichts des weit verbreiteten Wissens um die Herstellung von Sprengstoff. Nein, dieses Mal gehts um die bei uns wirklich allgemein als verwerflich angesehene Zensur der Chinesen, Iraner und anderer Diktaturen, die ihre Leute nicht auf regierungskritische Medien zugreifen lassen. Schade ist allerdings, dass sie beim Spiegel nicht schreiben, dass das alles zusammenhängt. Dass sämtliche Bemühungen, den Chinesen beim Anonymisieren zu helfen darauf angewiesen sind, dass man sich auch hier anonym im Netz bewegen darf. Sobald man die Möglichkeit hat, im Anonymisierungssystem "Free Tibet" von "Free Porn" zu unterscheiden und das ganze auch noch regional dem Konsumenten zuordnen soll, haut das ganze halt nicht mehr hin. Ausserdem kranken Zensurversuche in internationalen Netzen immer daran, "moralisch Verwerfliches" übereinstimmend zu definieren. So sind also die Chinesen darauf angewiesen, dass im freieren Westen genügend Anonymisierungsdienste angeboten werden. Irgendjemand muss ja den ganzen regierungskritischen Verkehr routen. Bei der derzeitigen Situation in Europa ist dieses Angebot allerdings stark gefährdet. Zum einen wird jetzt schon jeder Anbieter von Anonymisierung vom deutschen Staat kritisch beäugt und sobald irgendwas Verbotenes aus seinem Rechner kommt auch gerne Mal heimgesucht. Zum anderen wird der Betrieb von Anonymisierern durch die bevorstehende Vorratsdatenspeicherung ziemlich erschwert, vermutlich sogar unmöglich gemacht. Man braucht schon viel Speicherplatz, um jede Zuordnung von Quell-IP und Ziel-IP ein halbes Jahr aufzuheben. Die Glaubwürdigkeit eines Anonymisierungsnetzes wird sicher auch darunter leiden, wenn der User damit dem deutschen Staat vertrauen muss, dass er niemals Daten an die Chinesen übermittelt und ihn damit ans Messer liefert. Nichtmal wenn die uns dafür eine Magnetschwebebahn abkaufen oder einen Terroristen dafür ausliefern oder so... Und so macht unser Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle des Internets, das natürlich auch in gewissem Umfang berechtigt ist, die Möglichkeit der Chinesen auf freie Meinungsbildung kaputt. Diesen Umstand kann man sehen wie man will, egal wie man entscheidet, man opfert immer irgendein berechtigtes Anliegen. Aber den Zusammenhang sollte man einfach häufiger und deutlicher erwähnen und vor allem bei der Abwägung von Nutzen und Schaden der Sicherheitsmassnahmen mit einkalkulieren. In der Darstellung des Tor-Netzwerkes irrt der Spiegel übrigens. Die träge Geschwindigkeit ist nicht die systembedingte Folge der "indirekten Versendung der Datenpakete" sondern liegt einfach daran, dass zu viele Nutzer zu wenigen Serverbetreibern gegenüberstehen. Ob die sich dort alle wegen der Freiheit für Tibet tummeln oder eher auf der Suche nach Freien Downloads sind, sei mal dahingestellt... Der Satz "Der Eingangsknoten verwaltet alle verwendeten Server, er ist sozusagen das Telefonbuch von Tor" muss ein Verständnisfehler sein, der Eingangsknoten ist nicht das "Telefonbuch", was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass Tor relativ leicht zu blocken ist. Ein Staat, der tausende von Webseiten sperrt, hat auch mit tausend Tor-Nodes sicher kein Problem. Eigentlich komisch, dass er davon keinen Gebrauch macht. Saturday, 19. May 2007Verdächtig
Die taz schreibt über die eher eigenartige Vorgehensweise der Polizei bei den terrorverdächtigen G8-Gegnern
Hanebüchen auch die Argumentationskette bei einem vierten Durchsuchungsbefehl. Darin wird dem Beschuldigten vorgeworfen, an einem vor wenigen Monaten verübten Brandanschlag auf das Berliner Unternehmen Dussmann beteiligt gewesen zu sein. Das Indiz für diese Annahme: Der Beschuldigte hätte im Internet mal nach "Dussmann" recherchiert. Dussmann unterhält unter dem gleichen Namen eines der größten Bücherkaufhäuser der Stadt. Bei mir dürften sie da aber auch fündig werden, bei einem kurzer Blick in meine Google-History tun sich Abgründe auf: (Ich weiss nicht, wie dieses "dutzend" da reinkam und "eat the rich" ist eine Kneipe in München und ein Lied von Aerosmith und ein Film auch, ehrlich!) Den Link hab ich bei Florian Holzhauer gefunden, der dagegen ein Tool namens TrackMeNot empfiehlt. Das sucht im Hintergrund nebenbei immer nach harmlosen Dingen und verschleiert so die wahren Suchbegriffe. Aber was ist schon harmlos, heutzutage... Saturday, 12. May 2007Keine Reue
Kontraste hat jetzt den Text der Dienstanweisung ausgegraben, mit der der Minister, der Staatssekretär und das Parlamentarische Kontrollgremium gelinkt wurde:
Das heimliche Beobachten und sonstige Aufklären des Internets sowie insbesondere die verdeckte Teilnahme an seinen Kommunikationseinrichtungen, bzw. die Suche nach ihnen, sowie der heimliche Zugriff auf IT Systeme unter Einsatz technischer Mittel. Hans Peter Uhl von der CSU konnte den Text nicht deuten damals im Kontrollgremium als Jurist und Nichttechniker, nicht IT-Spezialist. Ich verstehe ich es nicht, was damit im Einzelnen gemeint ist und wozu die Dienste befugt sein sollen und sein Kollege Ströbele von den Grünen auch nicht Allein die Vorstellung, dass ein Geheimdienst in den Computer, den ich hier auf meinem Schreibtisch habe über das Telefon reinkriechen kann, diese Vorstellung habe ich erst Ende 2006 entwickeln können, seit ich gehört habe, dass das im strafprozessualen Bereich angewandt worden ist. Vielleicht ist das das Problem. Die Leute verstehen die Sprache der Leute nicht, die sie beaufsichtigen sollen und nachfragen trauen sie sich nicht, weil sonst der Mann vom Verfassungsschutz verächtlich schnauft. Auf die Idee, dass das Ding, in das die Frau im Vorzimmer immer die Briefe tippt ein "IT-System" sein könnte, kommen sie nicht von allein. Bayern macht übrigens einen eigenen Vorstoss zum Online-Schnüffeln. Die Netzzeitung zitiert unsere Justizministerin mit Weder von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) noch von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) lägen bisher Entwürfe vor, beklagte Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) in der «Welt am Sonntag». «Wir brauchen sehr schnell eine Rechtsgrundlage.» Da schon oft auch Hausdurchsuchungen wegen Kinderpornographie durchgeführt wurden, stimmt das mit der Hürde natürlich nicht ganz, man könnte sich ja bequem statt am Grossen Lauschangriff einfach an der Offline-Durchsuchung orientieren. Ich vermute, Frau Merk wollte einfach nochmal ein Stichwort fallen lassen und es geht ihr halt so wie den anderen auch: Sie hat keine Ahnung, worum es geht, aber man hat ihr gesagt, dass man das braucht. Ausserdem geht das so eh nicht durch die Gesetzgebung und wenn man schonmal Stimmung für die konservative Wählerschaft macht, kann man auch ordentlich aufs Blech hauen. Was mir bei der ganzen Sache irgendwie fehlt, ist irgendeine Form von Scham darüber, dass jahrelang die Behörden gegen Gesetzte verstossen haben, absichtlich oder aus Versehen gedeckt von der Regierung und ohne funktionierende Kontrolle des Parlaments. Das finde ich besonders tragisch, diese Kontrolle ist schliesslich die einzige Kontrolle, die stattfinden sollte, jeder öffentliche Einblick in die Arbeit der Schnüffler wurde ja durch dieses Gremium ersetzt. Stattdessen ist die einzige Konsequenz dieses Treibens, dass man eben versucht, die Rechtsgrundlage zu schaffen und so die Straftäterbande nachträglich zu legalisieren. Erkennungsdienstliche Behandlung
Ah, wie schon vermutet, der Kompromiss ist da, die SPD hat sich wacker geschlagen.
Fingerabdrücke werden nun doch nicht im Amt gespeichert, sondern nur im Pass und dann vernichtet. Online abfragbar sind sie damit natürlich auch nicht und ohne Speicherung werden die Begehrlichkeiten "wenn wir die Daten haben, wäre es doch unverantwortlich sie nicht für ... einzusetzen" nicht so schnell auftauchen. Dieser am Donnerstag von Peter Struck und Volker Kauder gefundene Kompromiss entspricht in dieser Hinsicht zufällig dem Kompromiss vom Dezember der dann zum Regierungsentwurf für das neue Passgesetz wurde: Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble erklärte hierzu: Schön wenn ein Gesetz so langfristig über mehrere Monate wirklich durchhält. Das Bild wird allerdings schon online abrufbar sein. Man musste halt einen Kompromiss finden. Wird sicher interessant im Herbst. Hoffentlich findet die Abdruckscannerei halbwegs technisch modern statt. Stempelkissen und Papierstreifen bleibt in der Vorstellungswelt der Bürger doch irgendwie dem gemeinen Verbrecher vorbehalten. So möchte man ja nicht behandelt werden. Friday, 11. May 2007Langer Atem
Gerade gefunden in Heribert Prantl: "Deutschland leicht entflammbar" von 1994:
Die Pläne des CDU/CSU-Fraktioinsvorsitzenden Wolfgang Schäuble gehen dahin, das Militär als Notpolizei gegen Demonstranten und Asylanten einzusetzen. Die strikte Trennung von Polizei, Militär und Geheimdiensten war eine Lehre aus der Nazi-Vergangenheit. Mit gutem Grund hatte der sogenannte Polizeibrief der Besatzungsmächte vom 8. / 14. April 1949 vorgeschrieben, die Verfassungsschutzbehörde dürfte "keine Polizeibefugnis" erhalten: Nie mehr sollte ein neues Reichsicherheitshauptamt entstehen können, wie es die Nationalsozialisten 1939 eingerichtet hatten. Diese Trennung war und ist keine Frage papierener Begrifflichkeit; sie hatte und hat einen tieferen Sinn: Eine der demokratischen Kontrolle entzogene Polizei sollte es nicht mehr geben. Doch trotz der Erfahrungen mit der Geheimen Staatspolizei des NS-Staates und mit der Staatssicherheit der DDR: Mahnungen und Warnungen verhallen. Auch das gehört zur Entsorgung der Vergangenheit. Das muss man also dem Innenminister lassen: Der Mann hat Ausdauer und geht einen geradlinigen Weg. Mich ärgert ja, dass ich überhaupt keine Erinnerung an den Schäuble dieser Zeit habe. Irgendwie ist da eine Lücke zwischen dem Attentat auf ihn 1990 und der Spendenaffäre 2000, vielleicht noch eine kurze Erinnerung an die Wahl 1998. Dabei war er seit 1991 Fraktionsvorsitzender, sollte also schon Spuren im Gedaächtnis hinterlassen haben. Vielleicht war der Blick auf seine innenpolitischen Ansichten vom recht dominanten Auftreten des damaligen Innenministers und Finanzagenten Manfred Kanther so verstellt. Aber immerhin, man hätte schon vor 13 Jahren wissen können, was der Mann so für Vorstellungen hat. Das Zauberwort, das man damals benutzte um Gesetze zur Stärkung der Polizei und Geheimdienste durchzubringen hiess übrigens "Organisierte Kriminalität". Den einheimischen Terrorismus glaubte man zu dieser Zeit überwunden und vom internationalen hatte man noch zu wenig Vorstellungen, um die Öffentlichkeit damit erschrecken zu können.
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