Spiegel Online widmet sich dem Problem der Zensur im Internet. Das finde ich gut.
Besonders schön finde ich, dass dieses Mal nicht der Wunsch hiesiger Regierungen aufgegriffen wird, Seiten zu sperren, die hiesigen Gesetzen widersprechen. Es ist nämlich schon schwierig, Argumente zu finden, warum Kinderpornos nicht zensiert werden sollten. Bei Seiten mit Hakenkreuzen kann man bestenfalls auf die regional sehr unterschiedliche Befindlichkeit bei der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Volksverhetzung hinweisen. Und bei Bombenbauanleitung lediglich auf die Nutzlosigkeit der Zensur angesichts des weit verbreiteten Wissens um die Herstellung von Sprengstoff.
Nein, dieses Mal gehts um die bei uns wirklich allgemein als verwerflich angesehene Zensur der Chinesen, Iraner und anderer Diktaturen, die ihre Leute nicht auf regierungskritische Medien zugreifen lassen.
Schade ist allerdings, dass sie beim Spiegel nicht schreiben, dass das alles zusammenhängt. Dass sämtliche Bemühungen, den Chinesen beim Anonymisieren zu helfen darauf angewiesen sind, dass man sich auch hier anonym im Netz bewegen darf. Sobald man die Möglichkeit hat, im Anonymisierungssystem "Free Tibet" von "Free Porn" zu unterscheiden und das ganze auch noch regional dem Konsumenten zuordnen soll, haut das ganze halt nicht mehr hin. Ausserdem kranken Zensurversuche in internationalen Netzen immer daran, "moralisch Verwerfliches" übereinstimmend zu definieren.
So sind also die Chinesen darauf angewiesen, dass im freieren Westen genügend Anonymisierungsdienste angeboten werden. Irgendjemand muss ja den ganzen regierungskritischen Verkehr routen.
Bei der derzeitigen Situation in Europa ist dieses Angebot allerdings stark gefährdet.
Zum einen wird jetzt schon jeder Anbieter von Anonymisierung vom deutschen Staat kritisch beäugt und sobald irgendwas Verbotenes aus seinem Rechner kommt auch
gerne Mal heimgesucht.
Zum anderen wird der Betrieb von Anonymisierern durch die bevorstehende Vorratsdatenspeicherung ziemlich erschwert, vermutlich sogar unmöglich gemacht. Man braucht schon viel Speicherplatz, um jede Zuordnung von Quell-IP und Ziel-IP ein halbes Jahr aufzuheben. Die Glaubwürdigkeit eines Anonymisierungsnetzes wird sicher auch darunter leiden, wenn der User damit dem deutschen Staat vertrauen muss, dass er niemals Daten an die Chinesen übermittelt und ihn damit ans Messer liefert. Nichtmal wenn die uns dafür eine Magnetschwebebahn abkaufen oder einen Terroristen dafür ausliefern oder so...
Und so macht unser Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle des Internets, das natürlich auch in gewissem Umfang berechtigt ist, die Möglichkeit der Chinesen auf freie Meinungsbildung kaputt. Diesen Umstand kann man sehen wie man will, egal wie man entscheidet, man opfert immer irgendein berechtigtes Anliegen. Aber den Zusammenhang sollte man einfach häufiger und deutlicher erwähnen und vor allem bei der Abwägung von Nutzen und Schaden der Sicherheitsmassnahmen mit einkalkulieren.
In der Darstellung des Tor-Netzwerkes irrt der Spiegel übrigens. Die träge Geschwindigkeit ist nicht die systembedingte Folge der "
indirekten Versendung der Datenpakete" sondern liegt einfach daran, dass zu viele Nutzer zu wenigen Serverbetreibern gegenüberstehen. Ob die sich dort alle wegen der Freiheit für Tibet tummeln oder eher auf der Suche nach Freien Downloads sind, sei mal dahingestellt...
Der Satz "
Der Eingangsknoten verwaltet alle verwendeten Server, er ist sozusagen das Telefonbuch von Tor" muss ein Verständnisfehler sein, der Eingangsknoten ist nicht das "Telefonbuch", was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass Tor relativ leicht zu blocken ist. Ein Staat, der tausende von Webseiten sperrt, hat auch mit tausend Tor-Nodes sicher kein Problem. Eigentlich komisch, dass er davon keinen Gebrauch macht.