Kaum bemüht sich die Bundesjustizministerin ein wenig Versachlichung in die Debatte über die drohende Vorratsdatenspeicherung
zu bringenIch habe mich daran gestört, dass bei denen, die sich darüber äußern, wenig Sachkunde vorhanden ist
schon fällt ihr ihre bayerische Amtskollegin in den Rücken...
Wo die Bundesjuristin sagt
Gelauscht werden dürfe demnach nur noch bei "schweren" Vergehen, auf die mindestens Haftstrafen mit Höhen zwischen einem und fünf Jahren stünden. Fahrlässige Verstöße gegen das Waffenrecht, Beihilfe zur Fahnenflucht oder Verstöße gegen das Vereinsgesetz etwa würden gestrichen, da diese "im Höchstmaß" mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht seien.
schreibt Merk"Bei Stalking mittels Telefonanrufen oder Betrügereien im Internet können die Täter in den meisten Fällen nicht ermittelt werden und wir können den Opfern nicht helfen"
Stalking wird mit Geldstrafe oder Haftstrafe bis zu
3 Jahren bestraft, sofern das Opfer nicht in schwere körperliche Gefahr gerät. Nach Zypries Auffassung also keineswegs geeignet, den Vorratsberg der Internet- und Telefonprovider abzuschöpfen. Nach Merks populistischer Einlassung aber schon.
Ich fürchte ja, beide haben Recht. Es herrscht tatsächlich grosse Verwirrung dank sachunkundiger Kommentare von allerhand wirren Politikern. Es wird tatsächlich irgendwas mit "schwerer Straftat" im Gesetz stehen und dieser Begriff wird in den folgenden Jahren einfach ein wenig ausgestaltet. Was einst gegen organisierte Kriminalität entwickelt wurde, wird ja heute auch gegen
schummelnde BAFöG-Empfänger eingesetzt und die Mautdaten, die niemals nicht für anderes als Mautzwecke verwendet werden durften, werden sicher auch bald zur Strafverfolgung und Prävention abgezogen.
Es wird ja auch weiterhin der Satz "oder per Telekommunikation begangene Straftaten" aus dem
Gesetzesantrag stehen bleiben. Da bleibt auch Frau Merks Stalker noch in der Zielgruppe. Blöd nur, dass die beiden Ministerinnen das einfach nicht so offen zugeben wollen. Ehrlichkeit würde ich zum Beispiel ja honorieren und als Einstieg in eine versachlichte Diskussion wie sie sich Frau Zypries so wünscht wäre es sicher hilfreich.
Bei einem weiteren Punkt würde ich mir auch mehr Sachkunde seitens der bayerischen Justizministerin wünschen:
Diese Daten liegen bei den Unternehmen ohnehin vor. Es wird lediglich vorgeschrieben, dass sie nicht vor Ablauf von sechs Monaten gelöscht werden dürfen.
Es ist schon klar, dass Internetprovider die Daten über vergebene IP-Adressen ihrer Kunden, Mailprovider Daten über Absender und Empfänger sowie die beteiligten IP-Adressen und Telefonprovider die Nummern speichern. Die löschen das Zeug aber nicht (nur) aus Sorge um den Datenschutz ihrer Kunden, sondern weil sie das bisher aus technischen Gründen so machen mussten.
Ich kenne ja nur die Verhältnisse kleiner "Provider" mit ein paar hundert Nutzern und ein paar tausend Mails (Spam mal nicht mitgerechnet) am Tag. Dort ist es kein Problem, die Logs des Mailservers für ein paar Tage vorzuhalten und zyklisch zu überschreiben. Das Überschreiben muss man aber machen, um die Platten nicht vollzumüllen. Eine Datenspeicherung über längere Zeit würde dort die Anschaffung weiterer Platten und Bandlaufwerke bedeuten sowie natürlich den organisatorischen Aufwand, die Bänder zu wechseln, zu archivieren und auf Anfrage die passenden Datensätze an die Behörden häppchenweise zu liefern. So wird aus Frau Merks "einfach nicht Löschen" schnell eine teure Sache.
Die Ministerin kann ja mal im Selbstversuch rausbekommen, wie man bei der Briefpost die Umschläge passend sortiert abheftet um später den Briefverkehr nachvollziehbar zu machen: Einfach den Papiermüll ein halbes Jahr nicht mehr runterbringen, sondern stattdessen im Wohnzimmer unter der Sitzecke chronologisch sortiert stapeln, so viel sollte ihr unser aller Sicherheit schon wert sein...
Etwas unsachlich fand ich auch Frau Zypries Einlassung:
... beim Schutz so genannter Berufsgeheimnisträgern. Dieses beruhe auf einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Schon jetzt seien in der Gruppe, in die etwa auch Journalisten oder Anwälte eingeordnet sind, auch "Fußpfleger und die Hebammen" dabei. Dieser gesamte Personenkreis, der nach Schätzungen Zypries' 30 Prozent der Bevölkerung umfasst, werde besser geschützt.
Zum einen ist es natürlich fies, die Hebammen da niederzumachen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Hebamme zu manchen Zeiten bedeutender für die psychologische und medizinische Betreuung der Schwangeren ist als der Frauenarzt. Aber das soll ihr die Familienministerin erklären...
Zum anderen frage ich mich, wie man bei 2 Mio Beschäftigten im Gesundheitswesen, 1.2 Mio im Sozialwesen, 750000 Leuten in der Rechts und Steuerberaterbranche und 220000 Arbeitnehmern bei den Versicherungen (Quelle:
Statistisches Jahrbuch) auf 30% von 82 Mio kommt. Ausserdem heisst ein Schutz der beruflichen Tätigkeit ja nicht, dass beispielsweise ein Krankenpfleger zuhause nicht unter die Speicherung seiner Telefonate fiele.
Vielleicht hat ja die juristische Sachkunde der Bundesministerin wenigstens in einem Punkt versagt. Sie hält die vom
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung initiierte Massenklager vor dem Verfassungsgericht für "formal unzulässig". In dieser Beziehung können wir ihr Fachwissen relativ schnell ab 1.1.2008 überprüfen. Wäre schade, wenn sie recht behalten würde, weil das Verfassungsgericht hat ja schon mal nette
Worte zu diesem Thema gefunden:
Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.