Unsere Kanzlerin ist unglücklich mit dem Internet, weil das macht es den Politikern schwer, den Puls des Volkes zu fühlen und dem Volk ihre Politik zu vermitteln:
"Heute wird es durch die Vielzahl der Informationskanäle, und besonders
durch das Internet, immer schwieriger, ein Gesamtmeinungsbild zu
erkennen [...] Es gibt nicht mehr nur eine Öffentlichkeit, sondern viele Öffentlichkeiten, die ganz verschieden angesprochen werden müssen."
Da hat sie recht, die Zeiten, wo zum Regieren Bild, BamS und Glotze gereicht haben, sind vermutlich vorbei, zumindest wenn man um Prozentchen kämpfen muss. Und es ist schwer, eine Gesamtmeinung zu erkennen, wenn man die Stimmung "im Internet" nur aus den Zeitungen kennt, die diese Stimmung anhand von Mitgliederzahlen von Facebook-Gruppen messen.
Was ich aber nicht verstehe, warum die Kanzlerin durch das Internet im Gegensatz zu Zeitung und den Nachrichtensendungen gehetzt fühlt:
Vor allem junge Menschen informierten sich "ausschließlich über das
Internet" – "und das oft sehr punktuell". Diese jungen Leute könne die
Politik über Zeitungen oder Nachrichtensendungen von ARD und ZDF immer
weniger erreichen. "Mit dieser Veränderung muss die Demokratie in
Deutschland und in den anderen westlichen Ländern umgehen lernen." Die
Vielzahl der Medien verlange von Politikern "ein immer schnelleres
Reagieren".
Für mich ist die gute alte Tagesschau der Inbegriff der Politikerhetze: Wenn das Verfassungsgericht verkündet, dass die Hartz IV-Sätze für Kinder neu berechnet und begründet werden müssen, wird um 20 Uhr in der Tagesschau das Statement jeder Fraktion abgefragt. Ernsthaft nachgedacht hat natürlich in den paar Stunden keiner, aber für ein "wir habens schon immer gesagt" muss es reichen. Eine Woche später, nach dem Nachdenken interessiert sich nämlich keiner mehr für das Ergebnis der Denkerei. Und so gibt halt jeder sein "schon immer gesagt" oder "sind auf dem richtigen Weg" ab. Nur die FDP wirkt fertig mit denken, die hat innerhalb weniger Stunden schon den kompletten Bundeshaushalt durchgerechnet und ist der Meinung die Steuerreform sei dadurch nicht gefährdet.
Die Sätze werden auch immer kürzer und gehetzter. Heute gabs zum Beispiel eine Pressekonferenz der Kanzlerin. Die weiss natürlich, das sie maximal fünf knapp formulierte Sätze sagen muss, weil mehr als 36 Sekunden O-Ton Merkel sind nicht drin. Und für die Opposition darf Herr Ernst von den Linken reden. Der ist Profi und weiss, dass er nur eine Chance hat, wenn er alles in 12 Sekunden bringt. Also steckt er einen Aufruf ans Volk, Kritik an der Regierung, Kritik an der Opposition und ein Angebot zur gemeinsamen Oppositionsarbeit in zwei Sätze:
"Ich denke es bedarf nun eines grossen Drucks der Bevölkerung, der Gewerkschaften, der Sozialverbände, auch einer -möglichst geeinten- Opposition um die Bundesregierung auf den richtigen Weg zu bringen. Alleine kriegt sie das offensichtlich nicht mehr hin."
In der Tagesschau um 20 Uhr wurde gegenüber 17 Uhr nochmal gekürzt. Merkel hat jetzt nur noch zwei pointierte Sätze zu je 13 Sekunden, die Grünen dürfen 11 Sekunden was sagen und die SPD 9. Klaus Ernst mit seiner langweiligen stundenlangen Erzählerei ist rausgefallen.
Da sind die Quellen im Internet wesentlich langatmiger, differenzierter und wirken überhaupt nicht gehetzt.