Ich hab mir mal ein paar alte geleakte diplomatische Telegramme durchgelesen, um zu sehn, ob sich viel verändert hat in den letzten 100 Jahren. Die Dokumente stammen alle aus den vier Wochen vor Ausbruch des ersten Weltkriegs und zeigen die Bemühungen der europäischen Diplomatie, den Krieg entweder zu verhindern oder wenigstens für das eigene Land günstig ausgehen zu lassen.
Es hat sich was geändert. Die Telegramme enthielten kaum persönliche Bemerkungen und waren viel höflicher. Es wimmelt von wortreichen Formulierungen wie "Ew. Hochwohlgeb. wollen umgehend der königlich Belgischen Regierung hiervon Mitteilung machen..." was bei handchiffrierten Texten sicher mühsam war.
Nicht geändert hat sich allerdings die Indiskretion der Diplomaten. Der französische Botschafter in Berlin konnte schon mal erst seinem deutschen Gesprächspartner Vertraulichkeit zusichern und den Inhalt der Unterredung dann brühwarm nach Paris kabeln.
Ebenfalls nicht geändert hat sich die Angst vor Leaks. Der deutsche Botschafter in Wien und der österreichische Aussenminister jedenfalls hatten die:
Ich darf zum Schluss noch bemerken, dass mich der Minister [und sein Aussenamtschef] baten, über vorstehende ganz geheime Mitteilungen nicht zu telegraphieren, sondern im Privatbrief zu schreiben, damit absolute Geheimhaltung verbürgt sei. Ich hatte den Eindruck, als fürchteten die Herren ein Durchsickern hier in Österreich, wenn ich chiffriert telegraphiere.
Denkbar undiplomatisch dagegen sind die handschriftlichen Bemerkungen des deutschen Kaisers, der wichtige Briefe gerne kurz am Rand kommentierte. Wilhelm II ging ja sowieso schon eher offen mit seiner Meinung um, aber da hat er wirklich die Sau rausgelassen.
Zur nationalen Würde Serbiens:
gibt es nicht!
Zur Bemerkung, dass man Balkanvölker nicht mit dem Massstab europäischer Kulturvölker messen sollte:
richtig, sind eben keine!
Zur Bemerkung, dass die Russen das vielleicht anders sehen:
dann sind die Russen eben auch nicht besser!
Zum Einwand aus Russland, dass man weiss, was man dem monarchischen Prinzip schuldet:
Seit seiner Verbrüderung mit der französ. Sozialrepublik nicht mehr!
Zur möglichen Verlagerung der serbischen Regierung nach Nisch, also weit weg von der Grenze zu Österreich:
Wie hohe zeigt sich der sog. Serbische Grosstaat, so ist es mit allen Slavischen Staaten beschaffen! Nur feste auf die Füsse des Gesindels!
Gut, dass das erst Jahrzehnte später an die Öffentlichkeit geraten ist. Womöglich wären Menschenleben gefährdet worden oder gar ein Krieg ausgebrochen. Zumindest hätten aber die Serben den Deutschen und Österreichern den Krieg erklärt statt andersrum.
Alle Zitate aus "Juli 1914. Die europäische Krise und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs" von Imanuel Geiss. Bild von der Library of Congress, Public Domain.