Friday, 9. November 2007Wie erwartet
wurde also heute die Vorratsdatenspeicherung im Bundestag durchgebracht. Jetzt muss halt Karlsruhe mal wieder herhalten, die Regierenden auf den Boden der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung zurückzuholen. Die Chancen stehen gut, bei anderen verfassungsfeindlichen Aktivitäten wie dem Abschuss von Verkehrsflugzeugen oder dem Grossen Lauschangriff hat das ja auch geklappt. Die Täter gehen bei diesem Gericht zwar immer straflos aus, aber wenigstens wurde ihnen bisher immer die Beute abgenommen.
Falls die Verfassungsbeschwerden des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung und der üblichen Kläger der FDP (Hirsch, Baum und Leutheusser-Schnarrenberger) nicht erfolgreich sind, müssen wir uns mit dem Wissen über die totale Dokumentation unserer Kommunikation abfinden. Dieses Wissen ist sehr wichtig, wie Frau Zypries weiss. Immerhin drückt sich darin alles aus, was wir unter "Informationeller Selbstbestimmung" verstehen. Schütte: Gehört die informationelle Selbstbestimmung nicht mehr zum Selbstverständnis einer modernen Demokratie? Aber immerhin würde die Welt sicherer: Die Terroristen werden durch das Gesetz in den Ruin getrieben, wenn sie sich einen Server irgendwo ausserhalb der europäisch-amerikanischen Datensammelgemeinschaft kaufen müssen und lernen, Anonymisierungsdienste zu nutzen. Die Mafiabosse werden wir klein kriegen, indem wir sie nur noch mit einem unter falschem Namen gekauften Prepaidhandy telefonieren lassen wie ein kleines Bambino ohne Konto. Das trifft den Patrone dort wo es wirklich weh tut, bei der Ehre. Die Liste der namentlichen Abstimmung birgt keine grossen Überraschungen und bringt über reine Parteizugehörigkeit hinaus keine Wahlempfehlung fürs nächste Mal. Koalition dafür, Opposition dagegen. Das einzig verwunderliche ist, dass auch aus dem schwärzesten Eck konservativer Politik eine Nein-Stimme kam: Peter Gauweiler hat dagegengestimmt. Vielleicht bekommt der Fragesteller bei Abgeordnetenwatch.de eine Antwort, was den Mann dazu bewegt hat. Lesetipp: Beim Ravenhorst gibts einen interessanten Beitrag zum Thema, vor allem der Teil "Aber wie gehts weiter?" ist lesenswert. Zypries dämliche Verwechslung von Bestimmung und Benachrichtigung wird im law blog gewürdigt. Thursday, 8. November 2007Auskunft für alle
Was ich letzten Freitag noch für mangelnde Abstimmung in der Grossen Koalition gehalten habe, war überhaupt nicht unabgestimmt. Es gibt tatsächlich grosse Unterschiede zwischen Münchner und Berliner Politikern bei der Auffassung über den Zweck der Vorratsdatenspeicherung.
Während Bundesjustizministerin Zypries fleissig weiter predigt, dass nur Schwerkriminelle betroffen seien, stänkert ihre bayerische Kollegin per Pressemitteilung gegen die Weicheier in Berlin an: "Den Urhebern wird durch die Verletzung von Urheberrechten im Internet, z.B. durch das unerlaubte Angebot von Filmen, Musikstücken und Texten, ein immenser Schaden zugefügt", so Merk. [...] Um den Urhebern Auskunft geben zu können, müssen die Provider aber auf bestimmte interne Daten zurückgreifen. Genau das untersagt aber das jetzt beratene TKÜ-Gesetz, das die Verwendung solcher Daten nur zu Zwecken der Strafverfolgung erlaubt. Merk: "Es ist für mich ein Unding, in einem Gesetz einen Auskunftsanspruch als wesentliche Neuerung zu verkünden und ihn durch ein anderes Gesetz stillschweigend zu beerdigen!" In der Konsequenz der vorliegenden Vorschläge müssen die Rechteinhaber weiter den Weg über Strafanzeigen gehen, was nicht nur die Staatsanwaltschaften massiv belastet, sondern vor allem zu einer nicht gewollten Kriminalisierung einer großen Zahl von Rechtsverletzern führt. Klar, als Anwalt der Musikindustrie würde ich mir sowas auch wünschen. Genauso wie Tankstellenbesitzer immer wieder davon träumen, ohne mühselige Anzeige bei der Polizei einfach den Benzindieb anhand seiner Autonummer zu identifizieren. Beiden hat man aber den Weg zur Polizei vorgeschrieben und vermutlich hat man sich was dabei gedacht. Ich glaube, der frühere Grund war, dass man nicht einfach persönliche Daten aufgrund blosser Behauptungen rausgeben wollte, sondern zumindest eine grobe Plausibilitätsprüfung von der Staatsgewalt vornehmen lassen wollte. Der Luxus dieses staatlichen Prüfungsmonopols kostet natürlich und vermutlich klagen die Staatsanwaltschaften zurecht über Massenanzeigen der Urhebervertreter. Aber nur aus Kostengründen kann man ja nicht gleich auf wesentliche Aufgaben des Staates verzichten. Für den surfenden Bürger wäre es sowieso egal, ob er mehr Staatsanwälte durchfüttert oder mehr Personal in den Rechtsabteilungen der Provider. Weil eine der beiden Einrichtungen müsste ja die Anfragen der Urheber prüfen. Eine Weitergabe meiner Daten an jeden dahergelaufenen Typen, der einfach nur so behauptet ich hätte sein Lied laut vor Publikum gepfiffen wäre ja völlige Anarchie und Anarchie mag die CSU nicht. Die "nicht gewollten Kriminalisierung einer großen Zahl von Rechtsverletzern" ist übrigens nicht so schlimm. Jedenfalls nicht, wenn man hier mal den Informationen der Bundesministerin glaubt: Zypries ist der Auffassung, dass beim illegalen Naschen an Tauschbörsen "in 99,9 Prozent der Fälle das Verfahren eingestellt wird". Eine Verfolgung koste der Staatsanwaltschaft "zu viel Zeit" und würde sie von wichtigeren Aufgaben abhalten. Auch die Industrie habe "kein Interesse, einzelne Leute zu verfolgen". Tuesday, 6. November 2007Demo gegen Vorratsdatenspeicherung
Schön, dass heute trotz des Sauwetters doch eine ganze Menge Leute zu der Demo gegen die Vorratsdatenspeicherung gefunden haben. Wie viele das waren, kann ich nichtmal ansatzweise schätzen, gibts sicher morgen in der Zeitung und im Polizeibericht zu lesen. Irgendwo in der Mitte liegt die richtige Zahl...
Die Reden von "Validom" und Klaus Hahnzog fand ich ziemlich gut, Judith Greif von der Grünen Jugend München war auch nett anzuhören, nur Hedwig Krimmer von ver.di hätten sie besser irgendwo verstecken sollen. Die gute Frau hat glaube ich im ersten Halbsatz der Begrüssung irgendwas von Vorratsdatenspeicherung gesagt und danach eine standardisierte "Beckstein ist Rassist und wir wollen keinen Einsatz der Bundeswehr im Inneren"-Rede gehalten. Ersteres glaub ich garnicht so recht und letzteres ist richtig, aber das ausgerechnet an den Löschhubschraubern bei der Waldbrandbekämpfung am Thumsee festzumachen ist schon ziemlich schräg. Es war entweder die falsche Demo, oder die falsche Rede. Beim Wiederaufwärmen vor der Glotze kam dann Frau Zypries in heute zu Wort und sagte in die Kamera, dass sich durch das neue Gesetz garnichts ändern würde, weil auch bisher alles schon gespeichert würde. Das wäre ja beruhigend, weil ein Gesetz, durch das sich nichts ändert, wäre ja völliger Unsinn und würde nie verabschiedet werden... Nachtrag: Die Veranstalter sagen, es seien 2000 Leute gewesen, die Polizei spricht von "über 1000". Bilder gibts inzwischen auch. Friday, 2. November 2007Wirre Ministerinnen
Kaum bemüht sich die Bundesjustizministerin ein wenig Versachlichung in die Debatte über die drohende Vorratsdatenspeicherung zu bringen
Ich habe mich daran gestört, dass bei denen, die sich darüber äußern, wenig Sachkunde vorhanden ist schon fällt ihr ihre bayerische Amtskollegin in den Rücken... Wo die Bundesjuristin sagt Gelauscht werden dürfe demnach nur noch bei "schweren" Vergehen, auf die mindestens Haftstrafen mit Höhen zwischen einem und fünf Jahren stünden. Fahrlässige Verstöße gegen das Waffenrecht, Beihilfe zur Fahnenflucht oder Verstöße gegen das Vereinsgesetz etwa würden gestrichen, da diese "im Höchstmaß" mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht seien. schreibt Merk "Bei Stalking mittels Telefonanrufen oder Betrügereien im Internet können die Täter in den meisten Fällen nicht ermittelt werden und wir können den Opfern nicht helfen" Stalking wird mit Geldstrafe oder Haftstrafe bis zu 3 Jahren bestraft, sofern das Opfer nicht in schwere körperliche Gefahr gerät. Nach Zypries Auffassung also keineswegs geeignet, den Vorratsberg der Internet- und Telefonprovider abzuschöpfen. Nach Merks populistischer Einlassung aber schon. Ich fürchte ja, beide haben Recht. Es herrscht tatsächlich grosse Verwirrung dank sachunkundiger Kommentare von allerhand wirren Politikern. Es wird tatsächlich irgendwas mit "schwerer Straftat" im Gesetz stehen und dieser Begriff wird in den folgenden Jahren einfach ein wenig ausgestaltet. Was einst gegen organisierte Kriminalität entwickelt wurde, wird ja heute auch gegen schummelnde BAFöG-Empfänger eingesetzt und die Mautdaten, die niemals nicht für anderes als Mautzwecke verwendet werden durften, werden sicher auch bald zur Strafverfolgung und Prävention abgezogen. Es wird ja auch weiterhin der Satz "oder per Telekommunikation begangene Straftaten" aus dem Gesetzesantrag stehen bleiben. Da bleibt auch Frau Merks Stalker noch in der Zielgruppe. Blöd nur, dass die beiden Ministerinnen das einfach nicht so offen zugeben wollen. Ehrlichkeit würde ich zum Beispiel ja honorieren und als Einstieg in eine versachlichte Diskussion wie sie sich Frau Zypries so wünscht wäre es sicher hilfreich. Bei einem weiteren Punkt würde ich mir auch mehr Sachkunde seitens der bayerischen Justizministerin wünschen: Diese Daten liegen bei den Unternehmen ohnehin vor. Es wird lediglich vorgeschrieben, dass sie nicht vor Ablauf von sechs Monaten gelöscht werden dürfen. Es ist schon klar, dass Internetprovider die Daten über vergebene IP-Adressen ihrer Kunden, Mailprovider Daten über Absender und Empfänger sowie die beteiligten IP-Adressen und Telefonprovider die Nummern speichern. Die löschen das Zeug aber nicht (nur) aus Sorge um den Datenschutz ihrer Kunden, sondern weil sie das bisher aus technischen Gründen so machen mussten. Ich kenne ja nur die Verhältnisse kleiner "Provider" mit ein paar hundert Nutzern und ein paar tausend Mails (Spam mal nicht mitgerechnet) am Tag. Dort ist es kein Problem, die Logs des Mailservers für ein paar Tage vorzuhalten und zyklisch zu überschreiben. Das Überschreiben muss man aber machen, um die Platten nicht vollzumüllen. Eine Datenspeicherung über längere Zeit würde dort die Anschaffung weiterer Platten und Bandlaufwerke bedeuten sowie natürlich den organisatorischen Aufwand, die Bänder zu wechseln, zu archivieren und auf Anfrage die passenden Datensätze an die Behörden häppchenweise zu liefern. So wird aus Frau Merks "einfach nicht Löschen" schnell eine teure Sache. Die Ministerin kann ja mal im Selbstversuch rausbekommen, wie man bei der Briefpost die Umschläge passend sortiert abheftet um später den Briefverkehr nachvollziehbar zu machen: Einfach den Papiermüll ein halbes Jahr nicht mehr runterbringen, sondern stattdessen im Wohnzimmer unter der Sitzecke chronologisch sortiert stapeln, so viel sollte ihr unser aller Sicherheit schon wert sein... Etwas unsachlich fand ich auch Frau Zypries Einlassung: ... beim Schutz so genannter Berufsgeheimnisträgern. Dieses beruhe auf einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Schon jetzt seien in der Gruppe, in die etwa auch Journalisten oder Anwälte eingeordnet sind, auch "Fußpfleger und die Hebammen" dabei. Dieser gesamte Personenkreis, der nach Schätzungen Zypries' 30 Prozent der Bevölkerung umfasst, werde besser geschützt. Zum einen ist es natürlich fies, die Hebammen da niederzumachen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Hebamme zu manchen Zeiten bedeutender für die psychologische und medizinische Betreuung der Schwangeren ist als der Frauenarzt. Aber das soll ihr die Familienministerin erklären... Zum anderen frage ich mich, wie man bei 2 Mio Beschäftigten im Gesundheitswesen, 1.2 Mio im Sozialwesen, 750000 Leuten in der Rechts und Steuerberaterbranche und 220000 Arbeitnehmern bei den Versicherungen (Quelle: Statistisches Jahrbuch) auf 30% von 82 Mio kommt. Ausserdem heisst ein Schutz der beruflichen Tätigkeit ja nicht, dass beispielsweise ein Krankenpfleger zuhause nicht unter die Speicherung seiner Telefonate fiele. Vielleicht hat ja die juristische Sachkunde der Bundesministerin wenigstens in einem Punkt versagt. Sie hält die vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung initiierte Massenklager vor dem Verfassungsgericht für "formal unzulässig". In dieser Beziehung können wir ihr Fachwissen relativ schnell ab 1.1.2008 überprüfen. Wäre schade, wenn sie recht behalten würde, weil das Verfassungsgericht hat ja schon mal nette Worte zu diesem Thema gefunden: Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.
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