Ich war ein paar Tage in Würzburg. Als touristisches Rahmenprogramm zur Arbeit gabs eine Nachtwächterführung, die ich eigentlich ganz lustig fand. Eher anekdotisch als faktenreich, aber von den Führungen der Art "und wenn Sie sich links aus dem Fenster lehnen sehen sie die 1456 von Herzog Johann dem Unbekannten gestiftete spätgotische Kirche des heiligen Sowieso mit dem beeindruckenden Triptychon des Meister Irgendwer" bleibt ja bei mir eh nichts hängen.
Diese Führung war so eindrucksvoll, dass ich die Geschichte von der Empfängnis durchs Ohr nicht mehr aus dem Kopf bekomme...
Zu jeder ordentlichen alten Religion gehört ja, dass die Gottheiten möglichst schon ein bisschen bizarr auf die Welt kommen. Die einen wachsen nach Verzehr der schwangeren Mutter im Kopf oder nach deren Verbrennung im Schenkel ihres Vaters heran, andere werden von der Mutter getöpfert und die eher gemässigt spektakulären Götter von Jungfrauen geboren. Sowas macht die Story schon am Anfang einfach interessanter.
Blöd ist nur, dass sich danach jahrhundertelang die geistige Elite einer Kultur damit beschäftigt, wie sowas rein anatomisch abläuft. Die könnten natürlich auch einfach an das Wunder glauben und basta. Geht aber schlecht, weil dauernd die einfachen Gläubigen und die Kinder fragen, wie das funktioniert. Oder man tuts als phantasievolle Story ab, aber das geht auch nicht: Wer nichtmal das zentrale Credo ohne Widerspruch aufsagen kann, fliegt aus dem meissten Religionen schnell raus und kann sich eigentlich nur noch damit retten, dass er auch an die Verdamnis nicht mehr glaubt.
Und so werden dann fast noch bizarrere Geschichten ausgedacht, wie zum Beispiel eine Zeugung durch das Ohr. Hat natürlich schon auch ihren Sinn, wenn man innerhalb des theologischen Denkens bleibt: Gott wirkt durch das Wort Gottes und zur Aufnahme desselben eignet sich das Ohr besonders gut. Und damit sich der einfache Gläubige das vorstellen kann, schmückt man die Kirchenportale mit recht eingängigen Darstellungen diese Vorgangs: Der schon recht weit entwickelte Fötus rutscht auf einer schlauchartigen Sprechblase, die im unteren Teil als Heiliger Geist in Taubenform endet, direkt ins Ohr der Muttergottes. So bleibt die Jungfrau unbefleckt und niemand kommt auf dumme oder womöglich sündig erotische Gedanken bei dieser Art der Zeugung.
Warum vor ihr noch ein Erzengel kniet, der nichtmal das Ave Maria ohne Spickschriftrolle aufsagen kann, weiss ich nicht. Vermutlich sollte irgendwo in diesem gotischen Comic noch der Begriff "Verkündung" verdeutlicht und ein bisschen Ähnlichkeit zum Evangelium untergebracht werden.
(Bilder vom Tympanon des Nordportals der Marienkapelle in Würzburg, sorry für den Maschendraht davor, aber die dortigen Tauben sind wohl keine Heiligen Geister mehr)