Wenn ich mir die Kommentare zum Bauerntheater unserer zukünfigen Landesväter so ansehe, glaub ich, die Leute haben irgendwie den historischen Weitblick verloren. Keiner kann sich daran erinnern, dass es durchaus mal eine äusserst flexible CSU gab, die mit einem Parlament voller Kleinparteien zurechtkam. Dass es mal Zeiten gab, in denen die "Volksparteien" nicht wie selbstverständlich zusammen 70% der Wähler hinter sich hatten, sogar Viererkoalitionen gegen die CSU möglich waren. Und ein Parlament, das aus mehr als vier Fraktionen besteht war mal was ganz normales, ohne dass man diese Zersplitterung als Gefahr sah.
- 1946 - 1947 gabs eine grosse Koalition aus CSU, SPD und einem Minister von der heute vergessenen WAV
- 1950 - 1954 eine grosse Koalition aus CSU, SPD und BHE
- 1954 - 1957 hatten wir eine Viererkoalition aus SPD, Bayernpartei, FDP und BHE. Gegen die CSU, die damals mit 38% die meisten Wählerstimmen gewinnen konnten.
- 1958 - 1962 konnte die CSU mit dem BHE und der FDP koalieren
- erst seit 1962 ist eine CSU-Alleinregierung üblich
(alle Kabinette gibts bei der Staatsregierung aufgelistet)Aus dieser Vielzahl von Kombinationen könnte man doch heute noch was auswählen, historische Ansprüche kann man jedenfalls beliebig viele herleiten. Auf den "Wählerwillen" haben sich sicher auch sämtliche Ministerpräsidenten berufen.
Was mir noch auffällt in der Politik der 50er und 60er-Jahre:
- Für abgesetzte Ministerpräsidenten war das noch kein politisches Aus. Hans Ehard war Justizminister, Justizstaatssekretär, zweimal Ministerpräsident mit Pause dazwischen und dann wieder Justizminister.
Heute könnte sich keiner vorstellen, Beckstein wieder als Innenminister unter Seehofer zu sehen. Oder Herrmann als Staatsekretär des Kabinets Maget. Ich vermute, damals war das Amt weniger mit der Person verknüpft. So war eine Wahlniederlage keine persönliche Demütigung, die nie wieder gutgemacht werden konnte und ein aus seiner Sicht guter Justizminister konnte dem Staat auch wieder als solcher dienen, wenn er als Ministerpräsident weniger erfolgreich war.
- Wilhelm Hoegner verdankt die Ernennung zum Ministerpräsident durch die Besatzungsmacht auch seiner Bekanntschaft mit Allen Dulles. Der spätere CIA-Chef sass während des Zweiten Weltkriegs für den Geheimdienst in der Schweiz und Hoegner hat für ihn Gutachten über den Wiederaufbau nach dem Krieg geschrieben. Als die Amerikaner dann fanden, dass die von ihnen eingesetzte Regierung in Bayern im Interesse einer funktionierenden Verwaltung zu wenige alte Nazis aus dem Ämtern verjagte, haben sie sich an den Hoegner erinnert.
Ein bayerischer Ministerpräsident als Schützling des CIA ist ja schon ein schönes Futter für Verschwörungstheoretiker.
- Der Gründer der CSU, Josef Müller hat 1945 zusammen mit der SPD und der KPD den "Entwurf eines gemeinsamen Regierungsprogramms des zu bildenden antifaschistischen Block" geschrieben.
Wenn die heutigen Angehörigen des "antifaschistischen Blocks" erfahren, wer vor ihnen diesen Begriff gebraucht hat, werden sie still in ihre schwarzen Kapuzenpullis weinen...
Eine interessante Online-Quelle für bayerische Politik der Nachkriegszeit ist übrigens die Homepage von
Hildegard Kronawitter. Die ehemalige Landtagsabgeordnete hat ein paar ihrer Aufsätze online gestellt. Viel aktuelle Politik, aber eben auch historisch Wissenswertes aus der Münchner und der bayerischen SPD-Politik. Aus ihrem
Hoegner-Aufsatz stammt auch die CIA-Geschichte und der "antifaschistische Block" aus CSU, SPD und KPD.