Seit knapp 3 Wochen ist das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gültig, und immer noch herrscht Verwirrung in den Medien, was eigentlich gespeichert wird und wozu.
Der Spiegel
berichtet Ende Dezember noch darüber, dass auch die Betreffzeilen der Mails gespeichert würden:
Allerdings ist bei den Protokollen einiger Dienste, etwa E-Mail, technisch nicht ohne weiteres sauber zwischen Inhalten (etwa Betreffzeile) und Transport-Details (E-Mail-Adressen) zu trennen.
Er erwähnt das allerdings
eine Woche später nicht mehr. Vielleicht hat ihnen mal jemand ein Mailserver-Log gezeigt.
Der Bayerische Rundfunk erwähnt die Ortung per GPS, wobei die die Vorratsdatenspeicherung nur als Aufhänger nutzen und allgemein über "
gläserne Bürger" schreiben:
Über Handy kann man dank GPS geortet werden.
Sogar vor seiner Einführung war das Gesetz schon nützlich, um Schläger in der Münchner U-Bahn ausfindig zu machen,
sagt Schäuble den Münchner Wählern des CSU-Oberbürgermeisterkandidaten:
Der CDU-Politiker meinte, dass die Festnahme der zwei Täter, die im Dezember einen Rentner überfallen haben, mittels Vorratsdaten erfolgt sei, weshalb deren Speicherung nötig sei.
Das ist natürlich alles Unsinn. Mailserver kommen gut mit Absender, Empfänger, Uhrzeit und IP-Adressen der beteiligten Rechner zurecht. Subject und ähnlicher Inhalt der Mail würde den armen Server nur verwirren. Mein Mailserver schreibt zum Beispiel solche Logs:
Jan 16 20:58:15 CET 2008 client=liszt.debian.org[82.195.75.100]
from= bounce [AT] lists.debian.org ; to= max [AT] localhost
Mein Handy hat wie die meisten dieser Dinger kein GPS eingebaut und wenn würde es trotzdem seine Koordinaten nicht permanent senden, der Provider muss zur Ortung weiterhin sein Funktürmchen nutzen, die Organe der inneren und äusseren Sicherheit haben
IMSI-Catcher dafür.
Und der Schläger in der U-Bahn wurde nicht dank der Vorratsdatenspeicherung gefunden, sondern weil sein Provider für die Abrechnung die Rufnummern aufbewahrt, vielleicht auch mehr, nachdem er wusste, dass das Handy geklaut worden war. Jedenfalls wäre eine 6-Monatige Datenspeicherung für staatliche Zwecke auf Vorrat zu diesem Zeitpunkt illegal gewesen.
Ich finde diese Verwirrung eigentlich nicht schlecht. Ich glaube, seit der Volkszählung 1987 gabs kein so breites Interesse daran, was der Staat über uns wissen kann und darf. Breite Schichten machen sich plötzlich Sorgen um Verschlüsselung und der Spiegel macht Werbung für Anonymisierungstechniken. Damit kommt dieses Thema endlich aus den finsteren Ecken des Internets raus, in denen sich bisher Freaks, Geheimagenten und Raubkopierterroristen getummelt haben.
Eine Spur Fatalismus seh ich allerdings auch. Irgendwie lese ich aus den Beispielen auch sowas wie "Die wissen eh schon alles" raus, manchmal auch "Die verschaffen sich das alles eh irgendwie, auch illegal". Das stimmt natürlich auch, wer Zypries Rede im Bundestag "
Diese Daten, die für Abrechnungszwecke gebraucht werden, werden gespeichert, nicht mehr und nicht weniger" mit der Realität des Gesetzestextes (Mailserverlogs, Positionsbestimmung bei Handytelefonaten, Logs bei kostenlosen Anonymisierern) vergleicht, könnte leicht das Gefühl bekommen, dass wir absichtlich belogen werden.
Das mit dem GPS im Handy war vielleicht auch nur ein prophetischer Zug des BR. Einige Handies lassen sich ja schon als Navigationsgerät verwenden. Bei flächendeckender Versorgung mit Ortungshandies wird es bestimmt einen Dienst geben, der die Navigation im Nahbereich anbietet. In grossen Biergärten entfallen so die lästigen Gespräche "Ich bin jetzt am Eingang, wo sitzt Ihr?". Stattdessen wird eine kleine Karte mit allen registrierten Freunden im Umkreis von 200m angezeigt.
Dieses "location based buddy finding" (kurz "lobbing") erfordert dann auch regelmässiges Übermitteln und zentralen Abgleich der Daten. Und natürlich wird der Staat dringend Zugriff darauf brauchen, um verfolgen zu können, welche buddies sich wo zusammenrotten.
Nachtrag: Das hier ist im Moment der einzige Google-Treffer für "location based buddy finding". Wenn einer so einen Dienst rausbringt und so nennt, will ich 0,5% vom Gewinn!