Saturday, 2. June 2007Die Verfassung wird der Lebenswirklichkeit angepasst
Innenminister Schäuble will für die Online-Durchsuchung das Grundgesetz ändern und sagt zur Berliner Zeitung
Die Verfassung würde der Lebenswirklichkeit angepasst, wie schon so oft. Lösen Sie sich von der Vorstellung, eine Verfassungsänderung sei etwas Verwerfliches. Das Gegenteil ist der Fall. Das ist notwendig. Sonst wäre die Verfassung starr. Früher gab es keine Telefone, also auch keine Telefonüberwachung. Heute nutzen Verbrecher Computer, also müssen wir sie überwachen, da mit ihrer Hilfe schwerste Straftaten verübt werden. Da hat er natürlich Recht, die Verfassung muss ab und zu angepasst werden. Freunde hätte sicher z.B. eine Abschaffung der Wehrpflicht, die man ja auch nachträglich in die Verfassung eingebaut hat. Auch in Bayern, wo man ja zur Verfassungsänderung nicht nur die nächstgrössere Fraktion, sondern sogar das Volk überzeugen muss, gibt es Beispiele für notwenige Verfassungsänderungen, etwa die Tilgung der Todesstrafe aus dem Text, die Abschaffung der Ständevertretung oder die Einführung der Bürgebegehren. Er irrt allerdings, wenn er glaubt, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes seine geliebten Überwachungsmassnahmen nur deshalb nicht in die Verfassung geschrieben haben, weil sie die technischen Möglichkeiten nicht kannten. Die Möglichkeiten hätten sie schon gehabt, sie hatten nur Skrupel, dem Staat alle diese Möglichkeiten zu geben. Vermutlich hatten sie einfach ein anderes Menschenbild als unser Innenminister. Und natürlich ein anderes Bild vom Staat. Was aus einem Staat wird, wenn das Volk plötzlich die falschen Leute wählt, haben sie ja zuvor vorgeführt bekommen, da wollten sie halt dafür sorgen, dass dessen Macht nicht zu gross werden kann. Nicht einmal gegen die Feinde des Gemeinwesen, auch das hatten sie nämlich gelernt, dass Diktaturen ganz schnell die Definition von "Verfassungsfeind" ändern können und dann die gleichen Gesetze, die z.B. gegen Nazis, Terroristen und Hooligans geschaffen werden plötzlich gegen jede beliebige Gruppe anwenden können. Schäubles Träume von Überwachung hätten auch früher schon Wirklichkeit werden können.
All diese Möglichkeiten hatte man also schon und trotzdem wollte man dem Staat nicht erlauben, davon Gebrauch zu machen. Es wäre seinerzeit auch schwer zu vermitteln gewesen, dass man ein derartig negatives Bild von den Bürgern hatte. Ausserdem musste man sich ja auch vom Staat der Brüder und Schwestern drüben im Osten irgendwie abheben und die Alliierten hatten auch die Schnauze voll vom starken Staat in Deutschland. Diese Gründe fallen heute natürlich weg. Die Vermittelbarkeit ist auch leichter. Schliesslich hätte jeder es als merkwürdig angesehen, wenn ein beamteter Postler irgendwo in einem Kämmerchen sitzt und Absender/Empfängerpaare in eine lange Liste einträgt. Die Vorstellung, dass jeder Internetprovider das von einer Maschine erledigen lässt, scheint weniger bizarr zu sein.
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